Selbst wenn Du Texte schreibst, die inhaltlich keinen Bezug zu religiösen Weltanschauungen haben, wirst Du irgendwann mit diesem Thema konfrontiert. Denn sobald historische Datumsangaben ins Spiel kommen, wird es schwierig, neutral zu bleiben.
So bezieht sich beispielsweise die Jahresangabe „1977 vor Christi“ eindeutig auf die christliche Religion. Weglassen geht nicht und Abkürzungen wie „v. Chr.“ lösen das Problem ebenfalls nicht.
Aber sollen wir deshalb gleich unseren gültigen Kalender über Bord werfen?
Kleine Geschichte des Kalenders
Der heute bei uns gebräuchliche gregorianische Kalender wurde im Jahr 1582 von Papst Gregor XIII eingeführt.
Vor dem gregorianischen Kalender war der julianische Kalender weit verbreitet, dessen Konzept von Julius Caesar in Auftrag gegeben wurde. Der julianische Kalender ist jedoch relativ unpräzise, sodass es im Lauf der Jahrhunderte sogar zu Verschiebungen der Jahreszeiten gekommen wäre:
Nimmt man das Sonnenjahr (Zeitraum, in dem die Erde einmal die Sonne umrundet) als Basis, so hinkt der julianische Kalender jährlich um elf Minuten hinterher. Beim gregorianischen Kalender sind es nur 26 Sekunden.
Zwar nutzen beide Kalender Schaltjahre zum Ausgleich, der gregorianische Kalender berechnet diese jedoch in einer anderen Weise (z.B. wird ein Schaltjahr ausgelassen, wenn die Jahreszahl durch 100, aber nicht durch 400 teilbar ist).
Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass der gregorianische Kalender aus wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen entwickelt wurde und die christliche Religion hierbei zwar auch eine, jedoch untergeordnete Rolle spielte.
Die Festlegung des Jahres 0 ist jedoch definitiv religiös motiviert und datiert auf die Geburt eines fiktiven christlichen Heiligen („Jesus Christus“). Aber selbst die Anhänger dieser Religion sind sich über das genaue Jahr nicht einig. Es wurde also mehr oder weniger willkürlich angenommen.
Möglichkeiten der neutralen Datumsangaben
Verwende anstelle von „vor Christi“ und „nach Christi“ einfach
- „vor unserer Zeitrechnung“ (v. u. Z.) / „nach unserer Zeitrechnung“ (n. u. Z.) oder
- „vor der Zeitrechnung“ (v. d. Z.) / „nach der Zeitrechnung“ (n. d. Z.) !
Anmerkung: Die zweite Variante ist die offizielle, da sie auch exakter formuliert ist. Die erste Variante findet man häufiger in Alltagstexten.
Wenn Du ganz genau sein möchtest, füge noch ein „Beginn“ ein. Also:
- „vor Beginn der/unserer Zeitrechnung“ bzw.
- „nach Beginn der/unserer Zeitrechnung“.
Die englischsprachige Variante lautet:
- „Before Common Era“ (BCE) / „Common Era“ (CE)
„Before Common Era“ steht dabei für „vor der Zeitrechnung“ („vor Christi“)und „Common Era“ meint „nach der Zeitrechnung“ („nach Christi“).
Hier ein paar Beispielsätze:
- Wir schreiben das Jahr 1977 vor der Zeitrechnung.
- Etwa um das Jahr 3300 v. u. Z. begann Historikern zufolge die Ära der Bronzezeit.
- Die Vase stammt aus dem 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und ist ungeheuer wertvoll.
Gründe für neutrale Datumsangaben
Vielleicht fragst Du dich jetzt, was dieser ganze Bohei denn eigentlich soll. Der Kalender ist da, wird genutzt, weshalb eine solche „politische Überkorrektheit“? Nun, dafür gibt es gute Gründe:
- Kulturelle Sensibilität / Inklusion – in einer multikulturellen Gesellschaft kommen neutrale Formulierungen bei der jeweiligen Zielgruppe oft am besten an. Damit trägst Du auch zu einer inklusiveren Sprache bei.
- Modernität – viele Menschen (nicht nur Atheisten) wünschen sich eine strikte Trennung zwischen dem realen Leben auf der einen Seite und religiösen Bräuchen auf der anderen Seite.
- Etablierter Standard – im wissenschaftlichen und historischen Kontext ist die Bezeichnung „vor/nach der Zeitrechnung“ längst gebräuchlich; sie in die Alltagssprache zu übernehmen, wäre daher nur logisch.
Zusammenfassung
Indem Du neutrale Datumsangaben verwendest, zeigst Du Sensibilität im Umgang mit religiösen Weltanschauungen, grenzt Dich als Autor aber auch gleichzeitig davon ab.
Natürlich entscheiden letztendlich Kontext und Zielgruppe darüber, ob dies sinnvoll ist – oder vielleicht sogar eine absolute Notwendigkeit, um die Leserinnen und Leser für Dich zu gewinnen.
Ich persönlich verwende die neutrale Schreibweise in allen meinen Texten und passe sie nur auf Kundenwunsch an (was seitens der Auftraggeber meiner Erfahrung nach eher selten geschieht).
Es gibt sogar immer wieder konkrete Rückfragen, da sich viele Menschen mit diesem Thema noch gar nicht auseinandergesetzt haben. Interessanterweise möchten viele zukünftig verstärkt selbst auf den Gebrauch von neutralen Formulierungen achten.